Diese Stühle erinnerten den alten Herrn keinesfalls an Kolonialzeiten, sondern bestimmt an etwas Vulgäres, das eigentlich in ein Bordell gehört. Die Müdigkeit nach einem so langen Arbeitstag führte ihn dazu, mich zu fragen, ob er in einem dieser Stühle Platz nehmen dürfe, um diesen Moment der Ruhe genießen zu können. Mir schien die Frage eher eine Geste der Höflichkeit und ich antwortete: "Bitteschön mein Herr!" Nachdem er sich gesetzt hatte, hellte sich das erschöpfte, abgespannte Gesicht plötzlich auf: er hatte es gewagt! Seine graue, trübe Alltagswelt war durch die Berührung mit der Phantasie durcheinandergebracht worden. Er befand sich mitten im Bühnenbild, auf dem Platz eines Schauspielers, er war ein Künstler!Soviel Kühnheit durfte nicht ungestraft bleiben, dem Glück folgte die Panik. Seine beiden Hände, von Altersflecken bedeckt - in gewisser Weise passend zu den Bezügen - krallten sich verzweifelt an die Stuhlbeine, sein Gesicht verzerrte sich zu einer verschreckten Grimasse und mit zitternder Stimme fragte er mich: "Ist das stabil?" Ich verstand nicht sofort was er mir sagen wollte, aber ich fürchtete ihm ginge es nicht gut und wollte schon Hilfe besorgen. Ich sagte: "Wie bitte?" Verzweifelt wiederholte er: "Der Stuhl! Ist er stabil?" Aber sicher mein Herr, das ist zum Sitzen gedacht!" Etwas erleichert aber nicht ganz zuversichtlich, der anfängliche Moment des Reizes schien weg! Gedanken wie etwa "Und wenn mich ein Bekannter hier sieht?" oder "Wie stehe ich da, wenn der Stuhl am Ende doch nicht hält?" mußten ihm durch den Kopf gegangen sein; die verlorene Unbekümmertheit sollte sich nicht wieder einstellen, die kurze Atempause vom Alltagsstress war verdorben! Das unerklärliche Benehmen meines Gegenübers machte mich stutzig. Das Ganze hatte kaum mehr als eine Minute gedauert und ich versuchte immer noch zu verstehen, was passiert war, als mir plötzlich ein Licht aufging: der Stuhl war lustig, also konnte er unmöglich stabil sein! Dieser Mann schien mir jetzt wie eine Karikatur des germanischen Geistes. Die Dinge müssen stabil sein, sie müssen so funktionieren wie sie gedacht sind und zwar so präzise und lange wie möglich. Dieses stabile Universum, in dem Überraschungen nicht willkommen sind, streift seltsammerweise ein lustiges Universum, in dem man während seiner Freizeit Abenteuer erlebt und wo alles nicht länger als ein Lachen dauert. Erheitern gilt als Entschuldigung für mangelnde Stabilität. Weder stabil, noch amüsant sein, heißt auf einen Platz im deutschen Kulturraum verzichten. Wenn das "Stabile" eher dem Bereich Arbeit zuzuordnen ist und das das "Lustige" der Freizeit, so gibt es doch zahllose Wechselbeziehungen zwischen beiden, wie der Stuhl beweist, es gibt erheiternde Dinge die nicht weniger stabil sind. Zum Beispiel ich: auch wenn ich einen niedlichen Akzent habe und mein Verhalten manchmal unerwartet scheint - was mich als "lustig" kategorisiert-, schätze ich die Stabilität , ja ich brauche sie sogar. Seit 15 Jahren ziehe ich mich gleich an, benütze Parfum einer Marke und bin einem Elektonikhersteller treu geblieben. Ganz zu schweigen von meinen sozialen Gewohnheiten, es sind die selben!
Philippe Claude übersätzt von Alexzandra Ahlborn (April 2000)
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire